Husum: Bunte Hafenstadt an der Nordsee - [GEO]

2022-09-17 10:33:16 By : Ms. Christine Zhang

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Während vor den Zugfenstern auf der Fahrt im RE 6 von Hamburg-Altona nach Husum langsam die Großstadtsilhouette Hamburgs verschwindet, wächst mit jeder grünen Wiese, wiegenden Ästen im Wind und gemütlich grasenden Kühen und Schafen die Vorfreude und das Urlaubsgefühl.  

Nach weniger als zwei Stunden steigen mein Freund und ich in Husum aus. Wir laufen am Nordfriesland Museum im Nissenhaus vorbei, dessen rote Backsteinfassade drei Tierkeramiken zieren. Für mich stellen die Kunstwerke ein Pferd, ein Rind und einen Adler dar. Laut einem Eintrag auf Wikipedia sind es neben dem Adler allerdings ein Seepferdchen und ein Tritonstier, die die nordfriesische Landschaft versinnbildlichen sollen.

Nach einem kurzen Fußmarsch erreichen wir unser Ziel: das Schloss vor Husum und den dazugehörigen Park. In der warmen Nachmittagssonne scheinen die roten Backsteine des Schlosses förmlich zu strahlen. Weiße Fensterrahmen und graue Dachziegel bilden dazu einen Kontrast. Wo einst ein Franziskanerkloster stand, ließ Herzog Adolf von Gottorf 1577 bis 1582 eine Nebenresidenz errichten – es ist heute das einzige Schloss an den schleswig-holsteinischen Küsten. Sein Standort außerhalb der einstigen Stadtgrenzen brachte dem Adelssitz den Namen Schloss vor Husum ein. Umsäumt vom Schlossgraben, liegt das Hauptgebäude auf einer Insel. Heute beheimatet es das Pole Poppenspieler Museum und ist Kulisse für Kunst- und Musikveranstaltungen.

Über ein Sandstein-Gartenportal aus dem 17. Jahrhundert gelangen wir in das grüne Herz von Husum: den Schlosspark. Schon wenig später entdecken wir ein Denkmal des Dichters und Schriftstellers Theodor Storm, dem wohl berühmtesten Sohn der Stadt. Eine kleine Tafel informiert darüber, dass der Bildhauer Adolf Brütt es geschaffen hat – es wurde 1898 anlässlich Storms zehntem Todesjahr eingeweiht. Der einstige Renaissance-Garten ist seit 1878 im Besitz der Stadt Husum. Neben ein paar Skulpturen genießen wir die großen Bäume und beobachten die Enten und Möwen, die sich auf dem Wasser des Schlossgrabens tummeln.

Für eine Pause schlendern mein Freund und ich durch die schönen Gässchen der Innenstadt zum Künstlercafé, einem der fünf Gastronomen in Husum, die auch vegane Gerichte auf ihrer Speisekarte haben. Umgeben von weiß gestrichenen Hauswänden und den warmen Sonnenstrahlen auf der Haut, versprüht die Außenterrasse im Hinterhof des Cafés ein mediterranes Flair.

Während wir in der Speisekarte blättern, fliegt eine Hummel nach der anderen den Lavendel auf unserem Tisch an. Bei den vielen köstlich klingenden Kuchen auf der Karte fällt die Entscheidung nicht leicht. Leider waren bei unserem Besuch an einem Freitagnachmittag um 15 Uhr schon fast alle Kuchen ausverkauft – zu meinem Pech auch alle veganen Tartes. Statt der Tarte landete ein Flammkuchen mit Zucchini, Paprika, Auberginen und Rucola in meinem Magen. Alle Ingwerliebhaberinnen und -liebhaber sollten die hausgemachte Limonade aus der Knolle probieren.

Wer vegan lebt und in unbekannten Städten nach Restaurants mit pflanzlichen Optionen sucht, kann bei "Happy Cow" im Web oder per App nach Empfehlungen schauen, in der Suchmaschine nach "Stadtname + vegan" suchen oder bei "Vanilla Bean" im Web oder per App nach Restaurants mit veganen Optionen suchen.

In der Innenstadt reihen sich kleinere und größere bunte Häuschen aneinander. Auf mit kopfsteingepflasterten Gassen lässt sich die besondere Atmosphäre der bunten Hafenstadt genießen. Von der einst "Grauen Stadt am Meer" wie Theodor Storm seinen Heimatort im Gedicht "Die Stadt" nannte, ist heute nicht mehr viel zu spüren. In Husums Zentrum – direkt am Marktplatz erinnert eine kleine Gedenktafel an einem unscheinbarerem Backsteinhaus daran, dass Storm 1817 dort zur Welt kam. 58 Novellen, darunter die wohl bekanntesten "Schimmelreiter" und "Pole Poppenspieler", schrieb der Dichter.

Den Mittelpunkt des Ortes bilden die von außen eher unscheinbar wirkende klassizistische Marienkirche und der Tine-Brunnen. Auf einem Sockel des Brunnens thront eine Fischersfrau – sie gilt als heimliches Wahrzeichen Husums. Rund um den Marktplatz stehen alte Bürgerhäuser mit eindrucksvollen Giebelfronten. Neben dem historischen Rathaus, wo heute die Touristeninformation untergebracht ist, zieren weiße Köpfe die roten Backsteine des Herrenhauses. Der Legende nach sollen sie Rebellen darstellen, die bei einem Aufstand gegen den dänischen König 1472 geköpft wurden, weshalb sie im Volksmund auch als Rebellenköpfe bezeichnet werden. In den kleinen Häusern reihen sich Souvenirläden, Boutiquen, Schuhgeschäfte und Teekontore aneinander.

Für mich aber ist der Hafen der schönste Platz in der Innenstadt. Während sich zwei Möwen lautstrak am Kai des Binnenhafens zanken, flanieren wir langsam am Wasser entlang und lassen uns die leichte Brise um die Nase wehen. Der Wasserstand im Hafenbecken ist von den Gezeiten abhängig. Dass Husum mit seinen rund 23.000 Einwohnerinnen und Einwohnern heute das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Nordfrieslands bildet, findet seinen Ursprung in einer Naturkatastrophe. Als eine Sturmflut 1362 den damals wichtigen Handelsort Rungholt zerstörte, wuchs Husum zur Hafenstadt mit einem großen Viehhandel heran. Durch diese Flut erhiehlt Husum auch einen direkten Zugang zur Nordsee.

Von unserer Unterkunft, einem funktionalen Apartment mit gemeinschaftlicher Küche, unweit der Innenstadt, wollen wir uns gerade aufmachen, um eine geführte Wattwanderung zu machen, als das Telefon klingelt und es heißt: "Wir müssen die Wattwanderung leider wegen einer Starkregen- und Gewitterwarnung absagen. Bei diesem Wetter ist eine Wattwanderung zu gefährlich!" Doch der Wettergott scheint uns wohlgesonnen, es klart etwas auf und das Wetter bessert sich. Wir machen uns auf eigene Faust auf – zumindest für ein paar Schritte – das Wattenmeer vor Lundenbergsand zu erkunden.

Bevor wir uns aber ins Watt wagen, schauen wir in den Tidenkalender. Etwa sieben Kilometer sind es bis zu dieser Küste, die wir bequem per Taxi zurücklegen. Die blaue Fahne des Campingplatzes scheint im Wind hin und her zu tanzen, während wir weiter Richtung Deich laufen, wo einige Schafe kurz ihr Grasen unterbrechen, um uns hinterherzuschauen. Mit Regenjacke und Gummistiefeln ausgerüstet, laufen wir vorbei an grüner Wiese.

Stück für Stück wird der Boden weicher, brauner Matsch weicht schwarzem Schlick. Die Stiefel versinken immer tiefer im Schlamm. Mit jedem Schritt wird es schwieriger, die Schuhe aus dem matschigen Untergrund zu ziehen, irgendwann geben wir auf. Laufen auf unseren Strümpfen weiter. Der Wind bläst kräftig um die Nase und mit jeder Brise atmen wir den salzigen Geruch des Meeres ein. Nur wir, der Wind und das Meer.

Etwas näher an der Husumer Innenstadt liegt die Badestelle Dockkoogspitze. Um dort hinzugelangen, leihen wir uns zwei Räder im Fahrradverleih der Diakonie direkt im Husumer Hauptbahnhof. Kostenpunkt: sechs Euro pro Rad und Tag. Von dort sind es rund vier Kilometer. Wir müssen kräftig in die Pedale treten, um gegen den Gegenwind anzukommen, doch der Blick auf den Husumer Hafen und die Strecke vorbei an grünen Wiesen entschädigt für die Anstrengung. Die blau-weiß gestreiften Strandkörbe sind leer. Zu kalt und windig für ein Bad in der Nordsee.

Doch ich lasse es mir nicht nehmen, wenigstens mit meinen Füßen noch mal durch die kleinen Wasserstellen zu laufen, die während Niedrigwasser zurückbleiben. Ganz langsam bewegt sich im Schlamm ein gelber Arm – was auf den ersten Blick wie ein Stein aussah, entpuppt sich als kleiner Krebs, den ich für einige Zeit dabei beobachte, wie er seitlich über den Boden läuft und kleine Wasserblasen aus seinem Mund kommen.  

Wir spazieren noch etwas weiter, bis zum Windhosenstrand, dort hängen Hosen, auf einem Draht- oder Eisengestell an Pfählen aus Metall – sie sehen so aus, als würden sie im Wind wehen. Eine Skulptur der Kieler Künstlerin Julia Bornefeld, die uns mit dem alltäglichen Phänomen Wind konfrontieren soll.

Wir gehen noch etwas durch den Nationalpark Wattenmeer, der direkt neben der Badestelle liegt, genießen die Brise, den Blick auf das Meer zur einen und den Blick über Grün auf der anderen Seite des Deichs, tanken noch etwas Natur und Ruhe, bevor wir zum Bahnhof zurückradeln. Ein Stück Nordfriesland behalten wir uns: Mit weitem Herzen und klarem Horizont im Sinn laufen wir abends im RE 6 in den trubeligen Bahnhof von Hamburg-Altona ein.

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